1. Autonomiephase, Trotzphase: Was ist das – und warum verändert sie die ganze Familie?
2. Warum ist dieser Entwicklungsschritt so wichtig?
3. Typische Herausforderungen für Eltern in der Autonomiephase
4. Emotionen am Steuer: Wie deine Gefühle und Gedanken dein Handeln lenken
5. Was bedeutet das für dein Kind?
6. Diese Bedürfnisse stecken hinter deinen Gefühlen und Gedanken
7. Fünf Strategien, wie du die angespannte Dynamik entschärfst
8. Diesen einen Fehler solltest du jetzt auf keinen Fall machen
Gestern noch hat dein Kind zufrieden mit dir einen Turm aus Bauklötzen gebaut. Und heute? Heute hörst du ein empörtes “Nein!” und dein Kind will nicht mit dir spielen. Du sollst nicht helfen – und erst recht nicht die blauen Klötze auf den Turm setzen. Willkommen in der Autonomiephase! Aber was genau ist das eigentlich – und warum bringt sie sogar unser ganzes Familienleben so durcheinander?
Die Autonomiephase – früher auch als Trotzphase bezeichnet – ist ein ganz natürlicher Entwicklungsschritt, den jedes Kind durchläuft. Sie startet meistens im Alter von etwa zwei Jahren, kann aber auch früher beginnen und sich bis ins Vorschulalter ziehen. In dieser Zeit entdecken Kinder ihr eigenes Ich, ihre Wünsche und Bedürfnisse sowie ihren eigenen Willen.
Das ist so, als würden sie zum ersten Mal den Dirigentenstab in die Hand nehmen – bereit, ihr inneres Orchester zu leiten. Allerdings müssen sie noch lernen, wie sie die vielfältigen “Instrumente” – also ihre Gefühle, Ideen, Wünsche, Bedürfnisse und Persönlichkeitsmerkmale – in Einklang bringen können.
Aber warum wirft diese Entwicklungsphase das Familienleben so durcheinander?
Weil diese Zeit voller Herausforderungen steckt.
Du siehst, diese Phase testet die Geduld und das Verständnis jedes Familienmitgliedes und stellt unsere Fähigkeiten in Kommunikation und Konfliktlösung immer wieder auf die Probe.
Diese Phase ist echt entscheidend für die Entwicklung deines Kindes. Es geht ja nicht bloß darum, “Ich” zu sagen, sondern viel mehr darum, zu erkunden, wer dieses “Ich” ist. Dein Kind entdeckt jetzt eigene Vorlieben und Abneigungen, erkennt seine Stärken und Schwächen. Und wenn es Entscheidungen trifft, sich behauptet und Probleme löst, stellt es etwas Wichtiges fest: sein Handeln hat Einfluss auf die Umgebung und auf die Ergebnisse.
Dieses Gefühl, Dinge selbst beeinflussen zu können, ist so wichtig für den Aufbau eines starken Selbstbewusstseins. Hier gewinnt dein Kind Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und baut ein starkes Selbstwertgefühl auf.
Ich weiß, die Zeit kann wirklich herausfordernd sein, doch glaub mir: deine Geduld, dein Verständnis und deine Liebe zahlen sich aus. Denn Fähigkeiten, die dein Nachwuchs jetzt entwickelt – Selbständigkeit, Entscheidungsfähigkeit, Problemlösungskompetenz – sind unverzichtbar für sein späteres Leben.
Und jetzt noch etwas richtig Tolles: die Autonomiephase kann die Bindung zwischen dir und deinem Kind stärken. Denn wenn du es jetzt unterstützt, sendest du eine mächtige Botschaft: “Ich glaube an dich und stehe hinter dir, egal was passiert.” Diese Sicherheit ist die Basis für eine starke und gesunde Beziehung.
Der Tag beginnt mit einer Verhandlungsrunde darüber, was angezogen wird. Dein Kind entscheidet sich für das Superheldenkostüm – zum dritten Mal in dieser Woche. Und während du noch versuchst, diplomatisch Alternativen vorzuschlagen, besteht dein Kind lautstark auf seiner Wahl. Noch herausordernder wird es, wenn die Wahl auf T-Shirt und Shorts fällt – obwohl draußen Schnee liegt.
Während eines Einkaufs möchte dein Kind unbedingt selbst den Einkaufswagen schieben oder auswählen, was gekauft wird. Dies führt dann zu einem Tanz durch die Gänge, bei dem mehr Dinge im Wagen landen, als auf deiner Liste stehen. Du bemühst dich, alles was du nicht brauchst, wieder auszuräumen – was leider in einem Wutanfall endet.
Diese beiden Szenen habe ich mal als typische Alltagsbeispiele genommen. Denn in diesen besonderen Jahren begegnest du einer Vielzahl von Herausforderungen und fragst dich immer wieder:
Glaub mir: Geduld, Kreativität und eine große Portion Selbstreflexion werden zu deinen wichtigsten Handwerkszeugen.
Stell dir vor: DU kannst mit deinen Gefühlen und Gedanken die Dynamik in Auseinandersetzungen beeinflussen. Ja, ich meine es wirklich ernst! Du hast nämlich tief verwurzelte Überzeugungen, die teilweise schon in deiner eigenen Kindheit entstanden sind. Oft werden sie sogar unbewusst von Generation zu Generation weitergegeben. Diese Überzeugungen, auch Glaubenssätze genannt, beeinflussen was du denkst, was du erwartest, wie du handelst und sogar wie du fühlst. Und meistens ist dir nicht mal bewusst, was da gerade in deinem Inneren abläuft.
Da gibt es ganz bekannte Glaubenssätze wie “nur die Harten kommen in den Garten”, “echte Männer weinen nicht” oder “Kinder mit dem Willen, kriegen was auf die Brillen”. Oder sehr individuelle, wie “es ist wichtig, was andere Menschen von mir denken”, “Kinder müssen gehorchen” oder “Liebe gibt es für Leistung”. Na, bekommst du schon eine Ahnung von dem, was ich meine?
Ich mach das mal an ein paar Beispielen deutlich:
Beispiel 1:
Vielleicht hast du irgendwann mal gelernt, gelesen oder gehört, dass Eltern sich nicht auf “Machtkämpfe mit ihrem Kind” einlassen sollten. Oder “dass Eltern sich oft mit Machtkämpfen konfrontiert sehen”. Und zack, sitzt dieser Gedanke in deinem Kopf. Und dann kommt der Moment, an dem dein Kind nicht das tut, was du erwartest, an dem es “nein” sagt. Für dich ist ganz klar: das sind Machtkämpfe, die mein Nachwuchs beginnt. Und in dir entstehen Gefühle wie Wut oder Unzufriedenheit. Schließlich willst du so einen Kampf nicht verlieren. Du wirst dich also ganz anders verhalten, als wenn du davon überzeugt bist, dass dein Kind gerade seine Selbständigkeit entwickeln möchte.
Beispiel 2:
Wir tun mal so, als ob du Folgendes (eventuell unbewusst) erwartest: Wenn ich immer Rücksicht auf die Bedürfnisse und Wünsche anderer Menschen nehme, dann müssen die anderen auch Rücksicht auf mich nehmen – auch mein Kind. Tja, und dann trödelt dein Kind morgens beim Frühstück oder lässt sich nicht schnell die Schuhe zubinden. Dabei musst du doch pünktlich auf der Arbeit sein. Da ist nix mit Verständnis auf Seiten deines Kindes. Stattdessen wirst du in deinem Anliegen nicht gesehen. Dabei hast du – findest du – ein Recht darauf, dass dein Kind mitarbeitet. Und schon fühlst du, wie Enttäuschung und Wut in dir hoch schwappen.
Ich könnte endlos so weiter machen. Doch ich hoffe, dass mein Punkt klar geworden ist. Und übrigens: selbst wenn du äußerlich ruhig bleibst – obwohl es in dir brodelt – beeinflusst das, was in deinem Inneren vorgeht, die Situation. Und auch dein Kind.
Ich möchte dir ans Herz legen: Dein Kind kriegt immer mit, was in dir vorgeht – ganz egal, wie ruhig du nach außen wirkst. Tobt es in dir, merkt dein Nachwuchs das. Ja, Kinder haben ein feines Gespür für emotionale Schwingungen – auch wenn du kein Wort darüber verlierst. Bist du gestresst, ängstlich oder ungeduldig, dein Kind bekommt das mit.
Egal, ob du deinen Gefühlen freien Lauf lässt und schimpfst oder Druck aufbaust. Oder ob du innerlich kochst und dich nach außen hin zusammenreißt. Es beeinflusst immer, was jetzt gerade zwischen euch passiert. Und es wirkt sich langfristig auf eure Beziehung und die emotionale Entwicklung deines Kindes aus.
Deshalb ist es so unglaublich wichtig, dass du erkennst, was in dir vorgeht. Warum genau wirst du eigentlich wütend oder traurig? Was steckt dahinter? Und was kannst du tun, damit du ausgeglichen und zufrieden bist? Lies weiter und erfahre, woran das liegt – und sammle Ideen, um die Dynamik zwischen euch zu verändern.
Hinter deinen intensiven Gefühlen stecken Gedanken und Bedürfnisse. Auf die Gedanken bin ich ja oben schon eingegangen. Hier möchte ich dir nun etwas über Bedürfnisse erzählen. Ich versuche, es kurz und knapp zu machen (echt schwierig…)
Sie sind ein grundlegender Antrieb für unser Verhalten und unsere Entscheidungen. Alle Menschen haben:
körperliche Bedürfnisse wie
psychische Bedürfnisse wie
Wenn wir z.B. Hunger haben, werden wir etwas unternehmen, um unseren Hunger zu stillen. Um den Wunsch nach Zugehörigkeit zu stillen, treffen wir uns mit Freunden oder verbringen intensive Zeit mit unserem Partner.
Hast du übrigens bemerkt, dass es Bedürfnisse gibt, die gegensätzlich sind? Hier ein Beispiel: Einerseits wollen wir selbständig sein – wir wollen alleine “unser Ding machen”. Andererseits brauchen wir Zugehörigkeit – das geht nur mit anderen Menschen. Spannend, oder? Es kann also nicht jedes Verlangen sofort erfüllt werden und auch nicht immer alles gleichzeitig.
Gefühle weisen uns dann darauf hin, ob unsere Bedürfnisse erfüllt oder unerfüllt sind. Deshalb ist es super wichtig, sie ernst zu nehmen und nicht einfach wegzudrücken. Bedürfnisse und Gefühle zu regulieren, ist ein langer Lernprozess – den selbst viele Erwachsene noch nicht beendet haben….. Und dein Kleinkind steht erst am Anfang dieser großen Aufgabe.
1. Hinterfrage deine Überzeugungen/Glaubenssätze:
Spürst du Wut, Trauer oder Enttäuschung in dir aufwallen? Dann schick deine Aufmerksamkeit sofort zu deinen Gedanken: Was denkst du gerade? Welche Sätze gehen dir durch den Kopf? Denn diese Sätze lösen deine Gefühle aus. Und dann stell dir folgende Fragen:
Ist mein Gedanke wahr?
Kann ich mir absolut sicher sein, dass er wahr ist? Dass das genauso stimmt?
Wie reagiere ich, was passiert, wenn ich diesen Gedanken glaube?
Wer wäre ich ohne diesen Gedanken?
Dieses Fragen sind aus Byron Katies Methode “The Work”. Sie können dir helfen, fest verankerte Überzeugungen zu lösen. Dadurch wirst du innerlich ruhiger.
Wir gehen es an folgendem Gedanken mal zusammen durch: “Jetzt habe ich doch meiner Tochter eben eine tolle Geschichte vorgelesen – da muss sie doch jetzt ohne Theater ins Bett gehen”
Frage 1: Ist das wahr? Muss meine Tochter ohne Theater ins Bett? – Hm, ist das ein Naturgesetz? Wo steht das denn?
Frage 2: Kann ich mir absolut sicher sein, dass meine Tochter ohne Theater ins Bett muss? – Hm, nee. Da kann ich mir nicht sicher sein.
Frage 3: Wie reagiere ich, wenn ich fest davon überzeugt bin, dass mein Kind ohne Theater ins Bett muss? – Wenn ich fest davon überzeugt bin, dann werde ich sauer auf meine Tochter. Und jetzt spür mal in dich hinein – welche Gefühle zeigen sich jetzt?
Frage 4: Wer wäre ich, wenn ich das nicht denken würde? – Da wäre ich entspannter, da ich feststelle, dass ihr Theater nichts mit mir persönlich zu tun hat. Und auch nicht mangelnden Respekt oder Wertschätzung ausdrückt. Und jetzt spür wieder in dich hinein – welche Gefühle zeigen sich jetzt?
2. Prüfe deinen Blick auf dein Kind:
Mich hat eine Feststellung von Marshall B. Rosenberg sehr beeindruckt und viel in mir in Gang gesetzt. Rosenberg hat folgendes beschrieben: Viele Erwachsene bringen Kindern weniger Respekt entgegen als anderen Erwachsenen. Denn Kinder sind ja “nur” Kinder. Mit ihnen wird ungeduldiger gesprochen, mehr “von oben herab”, respektloser, weniger mitfühlend usw. (Wenn es dich interessiert, kannst du mehr hierzu in folgendem Buch lesen: M.R. Rosenberg “Kinder einfühlend ins Leben begleiten”) Achte doch mal darauf. Wie ist das bei dir? Bringst du den Bedürfnissen und Wünschen deines Kindes das gleiche Verständnis entgegen, wie bei deinem Nachbarn, deinem Kollegen, deinem Partner usw.?
3. Sieh die Welt durch die Augen deines Kindes:
Du hast ja im vorherigen Kapitel schon etwas über Bedürfnisse gelesen. Nun versuche, dir vorzustellen, welche dein Kind wohl aktuell hat. Die grundlegenden körperlichen Bedürfnisse wie Hunger, Schlaf usw. sind bestimmt versorgt.
Und jetzt – in diesem Alter – kommen die psychischen Bedürfnisse mit aller Kraft hervor und wollen sofort und auf der Stelle erfüllt werden. Erinnere dich bitte: Gefühle geben den Hinweis, wie es um die Befriedigung der Bedürfnisse steht. Und da viele Wünsche und Anliegen nicht erfüllt werden, wird dein Kind nun von Wut, Trauer, Enttäuschung usw. überrollt. So etwas wie “Verlangen und Wünsche aufschieben” und “Gefühle regulieren” lernt es erst Stück für Stück in den nächsten Jahren.
Wenn also dein Nachwuchs das nächste Mal schreiend auf dem Boden des Supermarktes liegt, erinnere dich an diesen Artikel. Es will dich nicht ärgern. Es will auch keine Machtkämpfe mit dir führen. Wahrscheinlich ist es gerade ganz verzweifelt, weil seine Wünsche und Entscheidungen nicht berücksichtigt werden. Nun braucht es deine Unterstützung und dein Verständnis. Denn dann lernt dein Kind, dass zwar nicht alle Bedürfnisse (sofort) erfüllt werden können – dass es aber mit diesen gesehen und ernst genommen wird. Und wir wollen alle gesehen und ernst genommen werden!
Wichtig: Damit meine ich jetzt nicht, dass du immer alle Wünsche erfüllen und dem Schreien und Toben nachgeben sollst! Denn dann stellt dein Kind fest, dass Schreien und Toben eine gute Strategie sind, sich durchzusetzen. Und diese Strategie wird es dann immer wieder ausprobieren.
4. Entschuldige dich, wenn du doch mal ausgeflippt bist:
Hey, wir sind alle keine Heilige. Es wird immer mal wieder eine Situation geben, in der du dich nicht so verhältst, wie du es dir selber wünschst. Was wäre dir denn in einer vergleichbaren Situation wichtig? Wahrscheinlich täte es dir gut, wenn sich der andere bei dir entschuldigt, oder? Dann mach das auch bei deinem Kind. Bleib dabei bei dir und deinen Gefühlen. Erklär das deinem Sprössling – ohne ihm Vorwürfe dafür zu machen, dass du sauer geworden bist.
5. Achte auf dich selber und geh liebevoll mit dir um
Kümmere dich auch um deine eigenen Bedürfnisse und dein Wohlbefinden. Denn wenn du ausgeglichen und zufrieden bist, kannst du viel leichter eine positive und unterstützende Umgebung für dein Kind schaffen. Selbstfürsorge ist nicht selbstsüchtig; sie ist eine notwendige Grundlage für eine gesunde Eltern-Kind-Beziehung.
Vor allen Dingen bist du auch hier ein Vorbild: Wenn du gut für dich sorgst, lernt dein Kind, dass Selbstfürsorge ein wertvoller Teil des Lebens ist. Es begreift, dass es wichtig ist, auf die eigenen Gefühle zu achten und sich selber Gutes zu tun. Dadurch entwickelt dein Kind ein gesundes Verhältnis zu seinen Bedürfnissen. Indem du dir selbst Wertschätzung und Liebe entgegenbringst, zeigst du deinem Kind, wie es das auch für sich tun kann.
Und es gibt noch einen wichtigen Grund, weshalb du selber für deine Bedürfnisse und Zufriedenheit sorgen solltest: Dann hast du nicht die große Erwartung, dass jemand anderes – auch nicht dein Kind – das für dich macht. Denn Erwartungen bauen Druck auf. Nimmst du deine Erwartungen (und Forderungen) zurück, entspannt sich die Stimmung zwischen euch. Versprochen!
Glaube nicht, dass sich das Verhalten deines Kindes gegen dich richtet! Dein Kind sagt in diesem Moment nicht “nein” zu dir. Es will dich nicht ärgern. Es will dich auch nicht daran hindern, dass du pünktlich ins Büro kommst oder entspannt einkaufen kannst.
Dein Kind hat in diesem Moment einfach andere Bedürfnisse als du: Vielleicht braucht es gerade Ruhe – und isst deshalb langsam. Oder es braucht deine Nähe – und trödelt, um länger bei dir zu sein. Das heißt, dein Kind sagt gerade “ja” zu sich selbst.
Wenn du es jetzt anschreist und Druck aufbaust – vielleicht sogar mit Strafen drohst – fluppt die aktuelle Situation vielleicht besser. Doch gleichzeitig leidet eure Beziehung. Und du verpasst die Chance, hinter das Verhalten deines Kindes zu gucken und seine Bedürfnisse zu erkennen.
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